Manchmal gibt sich die Brav_a-Redaktion richtig Mühe mit angefragten Rezensionen von Büchern, mit dem Resultat dass sie leider viel zu lang für unser kleines Heft werden. Damit unsere Leser*innen trotzdem auf nichts verzichten müssen, stellen wir sie hier auf unser Blog. Im folgenden findet ihr die Rezensionen von Daniel zu zwei vom Berliner Manifest Verlag neuverlegten Klassikern: „Die Frau und der Sozialismus“ von August Bebel und „Zur Geschichte der Proletarischen Frauenbewegung“ von Clara Zetkin.
Der Manifest-Verlag macht übrigens gerade eine unterstützenswerte Crowdfunding-Kampagne, da er wie viele Kleinstunternehmen mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen hat.

August Bebel: „Die Frau und der Sozialismus“ (Erstausgabe 1879)

August Bebel Buchcover

Wenn wir kurz Parteien und Menschen miteinander gleich setzen wollen, dann scheinen beide im Laufe ihres Lebens eine Art Konservativwerdung zu durchlaufen. Beiden tut es in diesem Prozess gut, sich an frühere Zeiten und frühere Überzeugungen zu erinnern. Eben das tut auch der guten alten SPD gut, die sich im Laufe der Zeit sicherlich etwas zu viel mackerige Führungspersonen und neoliberales Gesellschaftsverständnis zugemutet hat. SPD-Angehörige also sind sicherlich die erste Zielgruppe des besprochenen Buches. Die zweite Zielgruppe könnten nun alle anderen interessierten Menschen sein, die es spannend finden sich die Lebenswirklichkeit und Kämpfe vergangener Feministinnen und ihrer Unterstützer zu vergegenwärtigen. Diese beiden positiven Aspekte sind herauszustellen: Das Buch bietet einen fundierten Einblick in vergangene Geschlechterverhältnisse und erinnert an eine progressive Zeit der SPD. Mit August Bebel hatte sich ein damaliger Parteichef prominent, ausführlich und fundiert dem Geschlechterverhältnis gewidmet. Ein solches Buch wird es von den gegenwärtigeren männlichen Parteichefs sicherlich nicht geben und womöglich ist das auch besser; für die Partei insgesamt ist es aber sicherlich wünschenswert, dass die SPD sich erinnert, dass Soziale nicht nur abstrakt mit Arbeit und Gerechtigkeit zu besetzen, sondern sich eben auch wieder mit der Kategorie Geschlecht zu befassen und sich auf die Suche zu begeben nach emanzipatorischer Geschlechterpolitik.

1879 erschien das Buch „Die Frau und der Sozialismus“ zum ersten Mal. Clara Zetkin, bedeutende Feministin selbst lange Zeit SPD-Mitglied und eine der ersten Frauen im damaligen Reichstag sagte über das Buch damals „Es darf nicht nach seinen Vorzügen oder Mängeln bewertet werden, es muss beurteilt werden nach der Zeit, in der es erschien. Und da war es mehr als ein Buch, es war ein Ereignis, eine Tat. Zum ersten Male wurde darin den Genossen klargelegt, in welchem Zusammenhange die Frauenfrage mit der geschichtlichen Entwicklung steht, zum ersten Male ertönte aus diesem Buche der Ruf: Wir können die Zukunft nur erobern, wenn wir die Frauen als Mitkämpferinnen gewinnen.“ Nachdem es zuletzt in der DDR verlegt wurde, kommt nun eine Neuauflage im Manifest-Verlag. Dieser kündigt das Buch weiter an mit „Dieses Buch legt trotz einiger historisch überholter Ausdrucksweisen oder kleinerer Fakten die grundlegende Haltung revolutionärer MarxistInnen zu diesen Themen dar. Deshalb soll eine neue Generation von Bebel lernen: Kein Sozialismus ohne Befreiung der Frau!“ Diese Zielstellung ist in der Tat der springende Punkt, wie und was kann gelernt werden und was hätte Bebel noch zu lernen gehabt, sind Themen, die die Lektüre des Buches begleitet haben. Als verhältnismäßig jung, dachte ich, ich schaue einmal hinein. Auch ein wenig, um die Frage zu beantworten: Was unterscheidet das Bebel Buch von dem Buch von Zetkin (2017), was ebenfalls im Manifest Verlag (2017) wieder aufgelegt wurde. Eine erste Antwort liegt sicher im Umfang des Buches: Anders als Zetkin hatte Bebel Zeit für ein derart ausgearbeitetes Buch. Hinzu kommt die in den vielen Neuauflagen sich ausdrückende Relevanz. Womöglich ist es auch ein gutes Zeichen, dass sich ein Band einer Reihe wiederaufgelegter „marxistischer Schriften“ explizit gegen den oftmals als Nebenwiderspruch an den Rand gedrängten Aspekt der Geschlechterungleichheit fokussiert. Spitz formuliert könnte aber auch argumentiert werden, dass angesichts einer Verdrängung linker und marxistischer Theorien an den Rand vieler Debatten dies ein Versuch ist sich an die erfolgreichere Frauenbewegung anzufügen: „Keine Befreiung der Frau ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Befreiung der Frau!“ (eb.d S. 7.)

Der Aufbau des Buches ist klassisch marxistisch orientiert: Aus der Darstellung einer bestimmten – an spezifischen Parametern orientierten – Geschichte der Stellung der Frau in der Gesellschaft folgt dann eine Gegenwartsbeschreibung die – Kontextbedingt – stark an Ehe und Ausschluss aus speziellen gesellschaftlichen Sphären orientiert ist, bevor dann der sozialistische Gegenentwurf und die Rolle der Frau in dieser dargestellt werden. Hierbei finden sich im ersten Teil in der Darstellung wie gesellschaftliche Entwicklung funktionieren würde eine ganze Reihe heute als kulturelle Chauvinismen zu deutender Annahmen eingebaut; lineares Entwicklungsdenken, sowie merkwürdige und wahrscheinlich aktuelle nicht mehr zu vertretene Annahmen, die einer Revision bedürften. Diese Ausführungen sind sicherlich spannend für historisch Interessierte – sicherlich auch die im Buch betriebenen Abgrenzungen und Gegenargumentationen gegen zeitgenössische Kritiker, die stärker als das Runterspielen der stereotypen Annahmen von Bebel den gesellschaftlichen Kontext seines Buches und der Auseinandersetzungen die noch geführt werden mussten verdeutlichen. Trotzdem muss auch gesagt werden, dass Bebel in seinem Denken zeitgenössischen eugenische Vorstellungen aufnimmt, schwierige Metaphern nutzt (wenn er von Parasiten etc. spricht), rassistische Bilder und antisemitische Annahmen mittransportiert. Gleichzeitig ist der Versuch die Zusammenhänge zwischen Gesellschaftsverhältnissen (Armut, Verdienst etc.), Macht und Moralverhältnissen aufzuzeigen sinnvoll und sehr interessant nachzuvollziehen, gerade weil er dies auch auf das Geschlechterverhältnis auszudehnen versucht. Hier sind vor allem seine Ausführungen zum Zusammenhang zwischen Geschlechtertrieb und der sozialen Institution der Ehe interessant, er zeigt aber auch auf, wie Frauen aus verschd. Klassen verschiedentlich im Geschlechterverhältnis diskriminiert werden und zeigt hier Ausbeutungsverhältnisse wie bspw. bei den Kinderfrauen auf. Wobei das ist ebenfalls zu sagen, er in einem Buch zur Frauenfrage nahezu eben soviel Raum für die Darstellung der marxistischen Gesellschaftsinterpretation veranschlagt, in gewisser Weise also komplett im Haupt- und Nebenwiderspruch Geflecht situiert bleibt, was sich vor allem in seiner Konzeption einer gesellschaftlichen Utopie zeigen wird. Interessant und spannend zu lesen, weil weitestgehend vergessen sind sicherlich auch die Ausführungen zur Internationalisierung und wie diese die Arbeits- und Gesellschaftsverhältnisse damals verändert haben: Hier entwickelt Bebel aus seiner marxistischen Position heraus interessante Überlegungen, wenngleich auch hier auffällig ist, dass er die die durchaus gegebenen Unternehmungen von Frauenrechtsbewegungen und Aktivistinnen nicht aufnimmt und thematisiert, obwohl es diese offenkundig gegeben hatte. Trotz der zeitweilig spannenden Kapitel und auch der breit sozialgeschichtlich-empirischen Belege lesen sich die Kapitel teilweise schon sehr mühsam. Viele Details sind aus heutiger Perspektive durchaus veraltet und für Hobbylesende nicht besonders interessant, hier ist dann die stärker narrativ und nicht agitierend angelegte Darstellung von Zetkin deutlich stärker. Gleichzeitig fehlen manchmal nötige Kenntnisse und Einordnungen, die in der sehr spärlichen Einführung nur begrenzt eingeführt worden waren. Wiederum interessant sind dann die damaligen Debatten, die an heutige Auseinandersetzungen erinnern, wenn beispielsweise die Frage behandelt wird, ob eine härtere Bestrafung von Verbrechen solche zukünftig verhindern würde oder ob nicht eher Ursachen der Verbrechen zu beseitigen wären.

Was auch über das Buch weg befremdlich wirkt, was heute so sicherlich nicht mehr möglich wäre, ist die kontinuierliche Nutzung des genersichen Maskulins; gleichermaßen ist es konsequent, den eigentlich spricht er vor allem über Frauen zu Männern, außer in den Abschnitten in denen er explizit die Genossinen zu agitieren sucht. Andererseits kann ihm auch zugute gehalten werden, dass in diesem hinteren Abschnitt, in welchem er marxistische Utopien entwirft es ihm gut gelingt die Kritik – die ja in den ersten Teilen vorbereitet und breiter ausgeführt wurde – mit Gegenentwürfen zu verbinden. Gleichzeitig spiegeln sich in seinen Reden auch misogyne Vorurteile seiner Zeit wider, wenn er „Zierpuppen, Modenärrinen und Salondamen“ (S. 356) als vorwerfend gemeinte Begriffe heranzieht. Expliziert wird die Rolle der Frauen dann ebenfalls wieder in dem Moment, wo sich der „kommunistischen Küche“ widmet; auch hier wieder der Blick auf Frauen als Thema mehr den als Handelnde. Das Buch endet mit dem Synthesekapitel Kapiel 28 „Die Frau in der Zukunft“. Mehrheitlich wird hier normativ die Rolle der Frau in der idealen sozialistischen Gesellschaft beschrieben; die Gender/Sex-Dekonstruktion vermissend, wird hier kontextuell denkbar weitestgehende Gleichheit in Aussicht gestellt; ergänzt werden liberale Positionen zu Eherecht und Sexualität; am Ende ist das Ergebnis, dass sich die bestehenden Geschlechterungleichheit im Sozialismus auflösen. Also am Ende ist die Rolle und Stellung der Frau doch darin begrenzt, dass deren Ungleichheit sich im Sozialismus auflösen würde, hierauf hätte die Einführung stärker eingehen können. Bebel positioniert sich nicht, sondern verschiebt die konkrete Auflösung der Ungleichheit in die Utopie selbst, die aber zeitlich in ihrer Einlösung nicht terminiert ist. Sprechend als Beispiele ist hier seine Auseinandersetzungen zum Streit, wie geschlossen eine Ehe sein kann; im Konflikt zwischen Fanny Lewald und Mathilde Reichert-Stromberg, in welchem Erstere Gleichberechtigung der Frauen auch im nachgehen ihrer sexuellen Neigungen fordert, während letztere dies als Dystopie herauszustellen sucht positioniert Bebel sich eben nicht eindeutig, sondern suggeriert die Auflösung des Konflikts in der Utopie der sozialistischen Gesellschaft (S. 368-373) statt die Diskussion aufzugreifen und hierin sich wirklich zu positionieren: 373 „Die volle Emanzipation der Frau und ihre Gleichstellung mit dem Manne ist eins der Ziele unserer Kulturentwicklung, dessen Verwirklichung keine Macht der Erde zu verhindern vermag. Aber sie ist nur möglich auf Grund einer Umgestaltung, welche die Herrschaft des Menschen über den Menschen – also auch des Kapitalisten über den Arbeiter – aufhebt. (S. 373)“ Gleiche Problemlösungsmöglichkeit wird auch für die Internationalität der Welt angenommen: Auch hier würde der Sozialismus Konflikte einfach auflösen. Die Lösung bleiben demfolgend dann insgesamt zumeist wenig überzeugend, wenngleich die Problemdiagnose spannend herausgearbeitet bzw. als Lösung an das Problem angekoppelt sind; insofern könnte als Beginn eines Fazits gesagt werden das die Diagnosekapitel durchaus lesenswert und auch die entwickelten Utopien spannend sind – wenngleich das Fehlen weiblicher Perspektiven hierin zu bemängeln ist. Auch angesichts solcher Auslassungen lesen sich dann solche wie die folgenden Ausführungen doppelt paternalistisch: „Auch an die Frau im allgemeine und an die Proletarierin im Besonderen tritt die Aufforderung, in diesem Kampfe nicht zurückzubleiben, in dem auch für ihre Befreiung und Erlösung gekämpft wird. Es ist an ihr, zu beweisen, daß sie ihre wahre Stellung in der Bewegung und in den Kämpfen der Gegenwart für eine bessere Zukunft begriffen hat und entschlossen ist, daran teilzunehmen. Sache der Männer ist es, sie in der Abstreifung aller Vorurteile und in der Teilnahme am Kampfe zu unterstützen. (S. 397)“. Um nochmal auf die Einleitung der Herausgeberin zurückzukommen: „Die Frauenfrage sah er weder losgelöst von der sozialen Frage noch als ein untergeordnetes Thema (…).“ (S. 6). Diese Bemerkungen scheinen nur zum Teil und eher begrenzt zuzutreffen; er scheint mir eher stark im Nebenwiderspruchsdenken steckengeblieben zu sein und auch ist die Frage ob es wirklich erst der Kapitalismus abgeschafft werden muss für die Befreiung der Frau; aber ja; Bebel ist trotzdem ein wenig inspirierend, wo er konkrete Vorstellungen einer zukünftigen Utopie entwirft; das Inspirierende hieran sind weniger die konkreten Utopien, die größtenteils bereits veraltet oder erreicht sind, sondern stattdessen der Modus der Kopplung einer materialistischen empirisch gesättigten Analyse und einer an dieser ansetzenden Utopien. Insofern: Die Beschreibungen vergangener Ungleichheit, in ihren Überwundenen wie auch in ihren fortdauernden Bestandteilen sind auch heute noch spannend zu lesen, wenngleich vllcht. gute Überblicksdarstellungen der Arbeit von Bebel vorzuziehen sind; und für die SPD als parteipolitischen Akteur erscheint es mir lehrreich sich zu erinnern, dass der Weg von der Diagnose der Ungleichheiten über die Erarbeitung von deren Entstehung und ein besseres Verständnis des Problems hin zur Entwicklung von Alternativen reichen muss. Dieses Denken scheint mir vorteilsreich und auch gut vermittelbar und könnte emanzipatorische Politiken die möglich sind gut anleiten.

Clara Zetkin: „Zur Geschichte der Proletarischen Frauenbewegung“ (Erstausgabe 1928)

Manifest Verlag 2017 (Berlin), 16,90, ISBN 978-3-96156-027-1, bestellen beim Verlag.
Clara Zetkin Buchcover

Anders gelagert ist dann das Buch von Clara Zetkin. Der entscheidende Unterschied liegt soweit ich das überblicke in der Zentrierung der Erzählung. Will Bebel, die Geschichte der gesellschaftlichen Stellung der Frauen und die Gründe ihrer Organisation beschreiben und zeigen, wieso und wie sie sich organisieren sollten, legt Zetkin eine Geschichte der tatsächlichen Organisation(en) vor und beschreibt die Konflikte und Probleme innerhalb dieser Prozesse. Es ist im besten Sinne Bewegungsgeschichte. Während Bebel vorgeworfen werden kann, dass er die Frauenorganisation mit dem Fluchtpunkt auf die Organisation der Arbeiterschaft als Klasse erzählt, kann wiederum Zetkin vorgeworfen werden, dass sie die Geschichte der Frauenbewegung mit dem Fluchtpunkt auf die kommunistische Frauenbewegung erzählt, mit der Begleiterscheinung, dass sie eben diese deutlich positiver würdigt als die anderen assoziierten, kooperierenden und konkurrierenden Frauenbewegungen; in diesen Punkten verliert sich ihre analytische Schärfe und die Überlegenheit der kommunistischen Bewegung wird mal ums mal gesetzt ohne sich der Mühe der Auseinandersetzung mit den anderen Positionen zu machen. Diese Momente fallen negativ auf; was hingegen positiv zu bemerken ist, sind die Schwierigkeiten, Widerstände und vor allem innerhalb der Bewegungen aufgekommenen Meinungsverschiedenheiten und Richtungsstreits, welche Zetkin breit darstellt und die vllcht. die interessanteren Anschlussüberlegungen erlauben, als die stattdessen im Vorwort stark gemachte Kontinuität der Geschlechterungerechtigkeiten. Letztere wird vielfach in vielen verschiedenen Büchern und Medien diskutiert und visualisiert; eine Geschichte emanzipatorischer feministischer Bewegungen unter Beleuchtung der Organisationsschwierigkeiten und Streitpunkte ist deutlich weniger präsent.

Zu den Inhalten: das Buch von Zetkin ist umrahmt von einem einleitenden Vorwort und einem Nachwort, dass versucht das Buch und die Arbeit Zetkins einzuordnen und zu würdigen. Insbesondere das Nachwort verliert sich ein wenig zu sehr in der allg. linken Bewegungskonstellation während Zetkins Leben und setzt etwas merkwürdigen Bewertungssätze ein: „Clara half in Zürich nicht nur beim Versand des „Sozialdemokrat“, sondern führte auch viele politische Diskussionen. Aus ihnen und dem Studium von August Bebels Buch „Die Frau und der Sozialismus“ erkannt sie, dass der Kampf der Arbeiterinnen für Sozialismus und der Kampf für Frauenbefreiung nicht zwei getrennte Themen sind. (S. 157)“. Sicherlich war Bebels Buch damals erstveröffentlicht und sicherlich sehr einflussreich, dennoch würde ich mir hier mehr Belege und auch eine stärkere Wertschätzung wünschen. Ebenso merkwürdig erscheint, dass die Auseinandersetzung zur Einführung des Internationalen Frauentags, für dessen Einführung Zetkin den Antrag eingebracht hatte nur in wenigen Zeilen abgehandelt wird, wohingegen die Auseinandersetzungen zu allen mögliche anderen inhaltlichen und parteiinternen Auseinandersetzungen deutlich breiter geführt wurde. Auch ein Absatz zur Kooperation mit Rosa Luxemburg lässt einen etwas konstaniert zurück: „Die Zusammenarbeit mit Rosa Luxemburg wurde für Clara Zetkins weitere Entwicklung Ungeheuer wichtig. (…) vor allem, weil das beginnende Zeitalter des Imperialismus politisch eine gewaltige Herausforderung für den Marxismus darstellte. Clara Zetkin hatte natürlich die marxistische Methode intensiv studiert und ihn eigenständig auf die Frauenfrage und andere Themengebiete angewendet. Aber das Zeitalter des Imperialismus bedeutete eine so tiefgreifende Veränderung des Kapitalismus und der Kampfbedingungen für die Arbeiterinnen, dass er weit mehr als nur ein neues Themengebiet war. Dass dabei die meisten Impulse von Rosa Luxemburg ausgingen, zeigt deren Genialität, schmälert aber nicht die Bedeutung der Mitarbeit Clara Zetkins. Dass diese so bereitwillig die intellektuelle Führung der 13 Jahre Jüngeren akzeptierte, zeigt ihre menschliche Größe (S. 167).“ Dieser Satz ist so unmöglich merkwürdig bewertend und irreführend, dass er einen schon erstaunt in diesem Zusammenhang, in dem es doch eigentlich mehr um Text und Person als um Theoriebeitragsrelevanz gehen sollte.

Stattdessen nun noch abschließend einige Worte zu dem Buch selbst: Zetkin setzt den Beginn der proletarischen Frauenbewegung in die Zeit um die Revolution 1848 und kontrastiert diese Bewegung zur Bewegung der frz. Revolution und diskutiert die Zeitumstände und die Arbeit von Feministinnen. Hierbei kontrastiert sie dann die bürgerliche Frauenbewegungs und ihre Initiatorin Louise Otto mit der frz. Revolutionärin Flora Tristan. Diese beiden sowie der Sozialist Julius Motteler werden später als wichtige Akteure de der proletarischen Frauenbewegung identifiziert und in eigenen Kapiteln detaillierter vorgestellt. Sie zeigt in der Folge einen ersten Pulk an Auseinandersetzungen innerhalb der Bewegung, in welchem es um die Frage ging, ob Frauen als Arbeitskonkurrenz geschützt, oder zurück in die Sphäre des Hauses gedrängt werden sollten; hier spielte sich eine erste Reihe von Kontroversen ab, an welche uns Zetkin erinnert und zu welchen sie die Positionen darzustellen vermag. Interessant ist hier nicht zuletzt auch der Anriss der utopischen Ideen von Flora Tristan, die sich auch heute noch ausnehmend interessant lesen (Volkspaläste als Orte an denen Arbeit, Bildung und Pflege zusammengeführt sind). Demgegenüber werden die Tätigkeiten von Louise Otto, die sich zunächst auf das Recht der Frauen auf Erwerb fokussierte und Arbeiterinnenbildungsinitiativen initiierte weniger euphorisch besprochen. Nichtsdestotrotz wird auch dieser Bewegungsstrang kontinuierlich geschildert. Weiterhin schildert sie dann wie die spätere Bewegung der Arbeiterinnen selbst sich langsam in bürgerlichen Bildungsvereinen zu formieren begann, ohne diese aber damit auf die Bürgerliche Frauenbewegung zu reduzieren. Im folgenden Kapitel wird dann die sich verstetigende und expandierende Bewegung ab den 1860er Jahren und nach der I. Internationale eingehender geschildert. Nachdem sie dann eingehender die Aushandlung zur Frauenarbeit auf internationaler Arbeiterorganisationsebene diskutiert hat widmet sie sich den Anfängen der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland ab den 1870er Jahren. Sie zeigt hier einige interessante Quellen, wie auch verschiedene Initiativen und deren Entwicklung und die Widerstände mit denen diese konfrontiert gewesen waren. Sie folgt dieser Geschichte bis zur Erstveröffentlichung ihres Buches 1905 bevor dann die drei schon benannten Personenkapitel folgen. Daran anschließend und diese erscheint mir besonders herauszuheben folgen dann kurze Kapitel zu „bürgerlicher“, „sozialdemokratischer“ und „kommunistischer“ Frauenbewegung, in denen sie die Spezifik der jeweiligen Bewegungen herauszuarbeiten sucht. Nun fragt sich, was der Gewinn des Lesen dieses Buches in Kontrast zu jüngeren Büchern, wie dem einschlägigen Ute Gerhard „Frauenbewegung und Feminismus – Eine Geschichte seit 1789“ (zuletzt 2018) oder jüngeren Einführungen wie „Kleine Geschichte des Feminismus in euro-amerikanischen Kontext“ (Patu, Schrupp, 2015) oder Michaela Karls „Die Geschichte der Frauenbewegung“ (2011). Die Antwort muss ambivalent sein: Die letztgenannten Bücher sind besser informiert, leichter zugänglich, umfassender und weniger polemisierend und voreingenommen; und dennoch kann dieser Kontakt mir den Quellen spannend sein und zwar aus genau denselben Gründen: Die Fehler, Irritationen, Voreingenommenheiten, das Unwissen gegenüber der folgenden Zukunft und die Absonderlichkeiten der Sprache aber auch Detailskenntnis die durch die späteren Gesamterzählungen aussortiert wurden machen das spannende dieser Bücher aus. Quellen lesen bringt in der Distanz an die Kontinuität der Auseinandersetzungen zu gesellschaftlichen Ungleichheiten und es ist angenehm irritierend. Insofern sind Bebels und Zetkins Buch trotz aller Kritik lesenswert.

Rezensionen: Die Frau und der Sozialismus und Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung

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