Diese Rezension der Brav_a-Redaktion wurde in der Brav_a #11 (Januar 2019) veröffentlicht.
„Was macht uns wirklich sicher?“ ist ein „Toolkit“, also der Werkzeugkoffer für die Auseinandersetzung mit dem begrifflich etwas sperrigen Konzept der „transformativen Gerechtigkeit“. Er besteht aus Analysen des deutschen Strafrechtssystems und Stellungnahmen von Organisationen die sich für die Rechte von rassistische diskriminierten Menschen und Sex-Arbeiter*innen einsetzen. Dazu kommen Checklisten und Fragebögen, die zur Arbeit mit sich selbst und innerhalb der eigenen Gruppe anregen sollen. Schließlich werden auch alternative Lösungsvorschläge für eine Welt ohne Gefängnisse und Strafrechtssystem vorgestellt.
Beim Lesen wurde ich immer wieder mit meinem verinnerlichten gesellschaftlichen Wertesystem konfrontiert. Wie im Buch beschrieben, haben Menschen wie ich, mit einem weißen, bürgerlichen Hintergrund, oft als ersten Instinkt zur Erhöhung des eigenen Sicherheitsgefühls eine Verschärfung von Gesetzen und ein Durchgreifen des Staates zu fordern. Sie übersehen (oder ignorieren) jedoch dabei, dass sich diese Maßnahmen vor allem in einer verstärkten Diskriminierung von bereits marginalisierten Personengruppen auswirken. Mehr Kontakt mit der Polizei bedeutet für sie eher eine Gefahr von Gewalt als der Schutz vor Gewalt. Bei der Forderung aus der Mehrheitsgesellschaft nach „mehr Sicherheit“ stellt sich demnach immer die Frage „Sicherheit für wen?“.
Die auf dieser Erfahrung basierenden Ansätze dafür, Gewaltvorfälle innerhalb von Communities zu lösen, statt sich auf Polizei und Staat zu verlassen, sind inspirierend. Gemeinschaftlich soll die betroffenen Personen unterstützt und gewaltausübende Personen zur Verantwortungsübernahme bewegt werden. Es wird jedoch beim Lesen klar, dass Grundlage für solche Prozesse eine schon bestehende verantwortungsbewusste, enge Community sein muss und sie viel Emo-Arbeit für alle bedeuten. In weißen Mehrheitskontexten, in denen dieser Ansatz für die meisten Beteiligten nicht alternativlos erscheint, bleiben sie vermutlich oft ein schwer erfüllbares Ideal. Trotzdem ist auch in diesen Kontexten eine Auseinandersetzung mit den vorgestellten Konzepten anhand des Toolkits – bevor etwas passiert – in den eigenen Politgruppen und Hausprojekten sehr sinnvoll.
Das Buch ist für alle Menschen empfehlenswert, weil es den Blick für institutionellen Rassismus und Ausschlussmechanismen in den eigenen Gruppen schärft. Es macht klar, dass queere Anliegen mit Anti-Rassismus zusammengedacht werden müssen und bietet Lösungen dafür, Communities inklusiver zu machen. Für von Diskriminierung Betroffene kann es Hilfestellung bieten, die gemeinschaftliche Beseitigung von rassistischen und andere Ausschlüsse einzufordern.
Melanie Brazzell (Hg.)
Was macht uns wirklich sicher?
Edition Assemblage (2018)